Wenn wir über Rollenspiel mit Kindern reden, dann stellt sich immer die Frage, ab welchem Alter Kinder an unserem Hobby überhaupt teilnehmen können. Offensichtlich ist ein frisch geborener Säugling noch zu jung. Aber wie weit kann man das Einstiegsalter nach unten schrauben, um auch kleinen Kindern den Weg ins Rollenspiel zu ermöglichen?

Ich möchte euch heute ein System vorstellen, mit dem bereits Dreijährige spielen können.

Was ist Monsterjagd!?

Monsterjagd! (Ja, das Ausrufezeichen gehört zum Titel.) ist die Übersetzung des spanischen Spiels Pequeños Detectives de Monstruos, welche auf Deutsch vom Uhrwerk-Verlag herausgebracht wird. (Es existiert übrigens auch eine englische Übersetzung namens Little Monster Detectives, die ich persönlich aber nicht soooo gelungen finde.)

Bei Monsterjagd! spielen die Kinder Nachwuchsjäger*innen, die ausziehen, um die Monster zu fangen oder zu besänftigen, die sich in Haushalten (Anm. d. Red. oder auch in der Schule, dem Kindergarten …) einnisten können – bspw. das Monster-unter-dem-Bett, das Gruselton-Monster oder der Schrankschreck. Dafür werden sie von der Behörde für Monsterjagd ausgerüstet und losgeschickt. Die jeweilige Mission leitet der*die Meisterjäger*in.

Will heißen: Die Spielleitung beschreibt sowohl die Welt, als dass sie auch einen NSC stets mit im Spiel hat, der die SCs anleiten kann. Das ist tatsächlich eine sehr geschickte Lösung. Beim Spiel mit Kindern ist es oft hilfreich, einen älteren Mitspieler mit im Boot zu haben, der ein wenig dirigieren kann. Vor allem beim ersten Mal brauchen kleine Kinder oft einen Anhalt, wie man so ein Spiel überhaupt spielt. Monsterjagd! legt diese Funktion hier mit der Spielleitung zusammen, was sich bei uns als sehr funktional herausgestellt hat.

Diese geringe Trennung zwischen Spieler und Figur gilt nicht nur für die Spielleitung. Auch ein Kind spielt als Monsterjäger*in eher sich selbst unter einem Decknamen als eine separate Figur. Gerade Kindern unter fünf Jahren fällt es häufig schwer, einen Charakter zu verkörpern, der anders fühlt und denkt als sie (vgl. Theory of Mind). Monsterjagd! kommt hier also mit realistischen Erwartungen an Kleinkinder daher.

Auch die Spielorte können sich die Kinder leicht vorstellen, geht es doch in normale Häuser und Gebäude in unserer Welt.

Ein weiteres Mittel für die Spielleitung, die Nachwuchjäger*innen etwas anzuleiten, stellen die sogenannten Schnepfchen dar. Das sind kleine, niedliche Monster, die lieb aber frech sind, und einem helfen können, wenn man nicht weiterkommt. Man findet Schnepfchen, indem man im Dunkeln einen Witz erzählt – wenn sie lachen, sieht man ihre Zähne im Dunkeln leuchten.

Und die Kinder lieben Schnepfchen. Eine Mitspielerin, die Tochter einer Freundin, war gar so begeistert, dass sie mir ein Schnepfchen gebastelt hat. Ich bin stolzer Besitzer eines von einer Fünfjährigen gebastelten Schnepfchens.

Der Kernmechanismus von Monsterjagd! basiert auf 3 sechsseitigen Würfeln. Normalerweise zählt das mittlere der drei Ergebnisse. Ist man verängstigt oder verletzt, zählt das niedrigste der drei Ergebnisse. Hat man ein hilfreiches Gimmick (Ausrüstung von der Behörde), zählt das höchste. Damit prüft man eigentlich alles: Ob man mit etwas Erfolg hat, ob man seine Furcht besiegen kann, ob man das Monster am Ende fangen kann.

Der Mechanismus ist so simpel, dass auch Dreijährige ihn verstehen, denn die einfachste Rechenoperation (das wissen wir aus der didaktischen Forschung) ist das Vergleichen. Das Kind muss nur schauen, welcher Würfel das niedrigste Ergebnis zeigt, welcher das höchste, und dann bleibt das mittlere noch übrig. (Bei Würfeln mit Augen statt Zahlen schaffen das auch mathematisch wenig talentierte Dreijährige in aller Regel.)

Eine Runde Monsterjagd! dauert zwischen 20 und 40 Minuten, stark abhängig von Konzentration und Aufmerksamkeitsspanne der Kinder. Aufgrund der Szenarien kann man eine Sitzung aber auch sehr schnell zum erfolgreichen Ende bringen, wenn die Laune der Kinder es plötzlich erfordert. Unter 20 Minuten sind schaffbar, wenn nötig.

Allgemein ist das Regelwerk nicht nur simpel, es ist so kindgerecht geschrieben, dass man es den Kindern tatsächlich als Bettlektüre vorlesen kann. (Ja, das taten wir.)

Der Nachteil davon ist, dass man als erfahrener Rollenspieler erst einmal verwirrt ist aufgrund der etwas anderen Spielkonstellation (Spielleitung [SL] mit permanentem Nichtspielercharakter [NSC]) und der ungewöhnlichen Spielvokabeln. Das Spielbeispiel macht dann alles klar, kommt aber erst auf Seite 26 von 98. Daher meine Empfehlung: Lest erst das Spielbeispiel und blättert dann wieder an den Anfang! Dann ergeben zwar nicht alle Begriffe im Beispiel sofort Sinn, dafür versteht man die Seiten davor anschließend auf Anhieb.

Es wird konsequent mit * gegendert, was seine Vorteile und seine Nachteile hat. Ich halte es durchaus für sinnvoll, mit Kindern inklusiv umzugehen, damit sich alle angesprochen und eingebunden fühlen. Der Text wird für die Kleinen dadurch auch nicht nennenswert schwieriger und ist auch für die Kinder gut nachvollziehbar, wenn man ihnen vorliest.

Der Nachteil zeigt sich, wenn sie es selbst lesen wollen. Dann mag das etwas anderes sein – meine totale Leseratte und damals siebenjährige Tochter, der man teilweise um 22:00 das Buch wegnehmen musste, damit sie genug Schlaf vor einem Schultag bekam, legte das Regelwerk nach zwanzig Minuten genervt zur Seite, weil sie das Gendern zu anstrengend fand.

Mediadaten

  • Autor*in: Patricia de Blas und Álvaro Corcín
  • Übersetzung: Claudia Heinzelmann
  • Illustrator*in: Patricia de Blas und Álvaro Corcín
  • Verlag: Uhrwerk-Verlag
  • Produktseite: Die eigentliche Produktseite ist nicht gepflegt. Im Shop ist es hier zu finden.
  • Format: gebunden, vollfarbig
  • Seiten: 98 Seiten + eingelegtes Bonusmaterial (siehe unten)
  • ISBN: 978-3-95867-235-2
  • Preis: 29,95 Euro

Extras

Zusätzlich zu den Grundregeln gibt es noch Bonusmaterial von unterschiedlicher Nützlichkeit. Davon sind einige direkt im Regelwerk mit eingelegt.

Das Spiel kommt mit Aufklebern, die Orden darstellen – für Mut, Ideen, Teamwork usw. Das sind sehr begehrte Belohnungen. Kinder in dem Alter lassen sich durch abstrakte Belohnungen (z. B. die klassischen Erfahrungspunkte) einfach nicht im selben Maße begeistern wie mit einem Aufkleber, der ihnen sagt, wie toll sie waren. Diese Abzeichen sind tatsächlich so zentral, dass ich es bedauerlich finde, dass man sie nicht nachkaufen kann. Ich empfehle euch, sie auf A4-Klebeetiketten nachzudrucken und dann auszuschneiden. (Tatsächlich sind diese Orden so effektiv, dass wir hier auf Kinderrollenspiel.de in Zukunft generische Orden veröffentlichen wollen, die jeder ausdrucken und für das Spiel mit Kindern verwenden kann.)

Des Weiteren kommt das Buch mit Pappmarkern, mit Fußabdrücken der Monster daher, die man in der realen Wohnung verstecken kann, um ein Suchspiel einzubauen. Außerdem gibt es Raumpläne von Häusern, in denen man Monster jagen kann. Beide diese Mittel finden meine Kinder nicht sonderlich interessant, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass andere Kinder so etwas toll finden. Gerade die Raumpläne, so scheint es mir zumindest, richten sich wohl eher an Meisterjäger*innen, die keine Rollenspielerfahrung haben und daher keine Übung darin, sich einen fiktiven Ort auszumalen. Sie sind also gut für die Zugänglichkeit, aber für erfahrene Rollenspieler bloß ein nettes Extra.

Zusätzlich zu diesem mitgelieferten Bonusmaterial ist noch weiteres erhältlich:

  • Man kann zwar keine Auszeichnungen aus dem Grundbuch, aber dafür andere Aufkleber dazukaufen, von denen manche nicht aus dem Spanischen übersetzt wurden. (Warum auch immer.) Das Paket enthält auch Einsatzberichts-Hefte, aufgebohrte Charakterbögen, die sich aber erst lohnen, wenn das Kind halbwegs schreiben kann.
  • Den SL-Schirm verwende ich nur, um meinen Kindern mehr Rollenspielstandards zu vermitteln. Seine Funktion ist praktisch abwesend. Er ist schick und solide produziert, aber die Abbildungen lenken zumindest meinen Sohn öfter ab. Die Regeln des Spiels auf der Innenseite sind zu simpel, als dass man eine Erinnerung überhaupt bräuchte. Ich sehe ihn wirklich bloß als Mittel, damit man Kinder schon einmal an das Konzept eines SL-Schirms gewöhnen kann – so man das denn möchte.
  • Sehr niedlich sind auch die Würfel, die statt der 1 ein Schnepfchen tragen. In einem Paket sind sechs davon enthalten, reichen also für zwei Leute. Meine beiden Kinder besitzen je drei.
  • Monsterjagd! Sternchen
  • Monsterjagd! Charakterbögen
  • Monsterjagd! Abzeichen

Meine Meinung

Erschütternd effektiv

Das System hat sich für uns als extrem erfolgreich herausgestellt. Ursprünglich hatte ich es nur gekauft, weil meine damals sechsjährige Tochter mit So nicht, Schurke! eingestiegen war und ihr damals dreijähriger Bruder zu jung dafür war. Aber nicht nur wurde mein Dreijähriger dadurch zum begeisterten Rollenspieler, auch meine Tochter liebt es total. Die beiden wollen es immer wieder mit ihren Freunden spielen. Und jedes Mal werden diese Freunde sofort konvertiert. Die erste Runde Monsterjagd! endet für diese Kinder jedes Mal mit dem Satz: »Können wir noch eine Runde?«

Wir hatten das Regelwerk auch schon oft auf längeren Zugfahrten mit und spielten dann dort am Tisch. Wenn ein weiteres Kind in der Nähe war, wurde das sofort einzogen und lernte Rollenspiel als Hobby kennen. (Dank an die Deutsche Bahn und ihren Familienbereich im ICE.)

Meine Tochter leitete im zarten Alter von sieben Jahren ihre erste Runde Monsterjagd! Wer also einmal eine siebenjährige Spielleitung erleben möchte, der ist hier genau richtig.

In Summe brachte ich mit Monsterjagd! im Kalenderjahr 2022 ganze acht Kinder zum Rollenspiel, keines davon älter als 8 Jahre. Diese Quote enthält natürlich einiges an Pandemierückstau und ist unhaltbar hoch, aber sie spricht trotzdem sehr laut für das System. Ich habe mittlerweile immer einen Vorrat davon im Schrank und verschenke es an Leute, die ihre Familienmitglieder konvertieren wollen. Auch diese berichten von durchschlagenden Erfolgen.

Auch pädagogisch wertvoll

Es ist nicht mein Hauptziel, wenn ich Rollenspiel mit Kindern spiele, aber es schadet auch nicht, wenn es pädagogische Erfolge mit sich bringt.

Das Spiel mit den „niedlichen Monstern der alltäglichen Kindersorgen“ ist sehr kreativitätsanregend. Es ist extra ein Monsterbogen mitgeliefert, damit die Kinder sich neue Monster ausdenken können. Und das tun sie auch. Sie denken sich auch gerne neue Gimmicks aus. Dieses Weiterfabulieren des Spiels zwischen den Sitzungen finde ich sehr rollenspielertypisch.

Zusätzlich zum kreativen Wirken, ermöglicht das Ausdenken von Monstern den Kindern auch, ihre Ängste zu bekämpfen. Als der Krieg gegen die Ukraine losging, entwickelten die Kinder jede Menge Kriegsmonster.

Meinem Sohn half das Spiel auf diese Weise, seine Angst im Dunkeln zu überwinden. Entgegen meiner Erwartung hatte das Besiegen der Monster keinen Einfluss auf seine Angst. Aber sich die Monster auszudenken, ließ ihn diese als rein fiktiv sehen. Damit wurden sie für ihn von einer (scheinbar) realen Bedrohung zu reinen Fantasiewesen.

Fazit

Trotz positiver Erwartungshaltung wurden meiner Erwartungen von Monsterjagd! immer noch übertroffen. Definitive Kaufempfehlung für alle, die mit kleinen Kindern spielen wollen.